

Der Tod des Don Rodrigo
Erste Ergebnisse der Sondereinheit C.I.M.D.R. (Comisio para Investigacion de Muerte de Don Rodrigo) der spanischen Guardia Civil, die seit Herbst 2014 die Umstände des Ablebens des spanischen Edelmannes aufklären soll, sind der Redaktion der landesweit erscheinenden Tageszeitung El Pais zugespielt worden. Details des unfertigen Berichts werfen einen dunklen Schatten auf die spanische Vergangenheit. Die zuständigen Stellen hüllen sich in Schweigen und wollen die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren.
Das Grab wurden im Sommer 2014 von einem deutschen Touristen entdeckt. Dem unbestätigten forensischen Bericht zufolge war Don Rodrigo vor über 200 Jahren stehend, gefesselt und noch lebend in den Fundamenten des Klosters St. Pere de Rodes im Nordosten Spaniens eingemauert worden. Dieses wurde damals auf Geheiß des Papstes wegen ausschweifender Häresie und Ketzerei gewaltsam aufgelöst und geplündert. Keiner der Mönche konnte sich der Verhaftung und Anklage durch Großinquisitor Barrica de Vino entziehen. Alle fanden den Tod am Kreuz, am Pfahl oder wurden verbrannt. Das überaus luxuriöse Interieur des Klosters zierte fortan die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandalfo und die Schlösser der königlichen Mätressen.
Die hitzigen Reaktionen auf den Tod Don Rodrigos, manche sprechen von Mord, andere von Gerechtigkeit, offenbaren die tiefen Gräben inmitten der spanischen Gesellschaft. Noch heute zerfällt Spanien in mehrere unversöhnliche Lager. Die spanische Linke, hoffnungslos zerstritten und unfähig einen Platz in der öffentlichen Diskussion einzunehmen, sieht in ihm das historische Übel, das dem spanischen Faschismus einen fruchtbaren Nährboden bereitet hat. Zumeist schlägt sie sich mit jeder Menge Schnaps und dunklem Tabak die Nächte in endlosen Diskussionen um die Ohren. Die Faschisten verehren Don Rodrigo als eine Art Urvater der Diktatur Francos und lehnen inzwischen ganz unverhohlen die Monarchie ab. Was die Königstreuen auf den Plan ruft, die jedweden nicht-royalen Personenkult als Hochverrat werten. Erstmals nach der Entdeckung des Grabes in Erscheinung getretene Separatisten verfolgen die bizarre Idee eines autonomen „Rodrigal“. Währenddessen vernebelt die katholische Kirche ihre wahren Absichten, verfolgt aber mit glühendem Interesse den Fortschritt der Untersuchungen. Unklar bleibt weiterhin die Position des Militärs.
Der Schlüssel zur Aufklärung der tatsächlichen Ereignisse wird im Stadtarchiv von Malaga vermutet. Verschollen geglaubte Dokumente sollen belegen wie sich Don Rodrigo in jungen Jahren durch riskante Geschäfte in den spanischen Kolonien einen immensen Besitz aneignete. Das notwendige Kapital stammte aus dem Erbe seiner Eltern und seiner 8 Geschwister, die binnen weniger Monate von einem seltsamen Fieber dahingerafft worden sein sollen. Der erst 17-jährige Rodrigo blieb als einziger verschont. Außer dem Landsitz der Familie gelangten so auch mehrere Gold- und Silberminen in der Nähe von Riotinto, im Süden Andalusiens, in seinen alleinigen Besitz. Alle in diesem Zusammenhang ausgestellten Besitz- und Sterbeurkunden tragen das Siegel des Notars Botella Roncacique, in späteren Jahren Abt von St. Pere de Rodes . Das Kloster wurde in den folgenden Jahrzehnten mit den großzügigen Spenden Don Rodrigos zu einem bacchantischen Palast ausgebaut, der seinerzeit, nicht nur seiner einzigartigen Kunstschätze wegen, den Neid des spanischen Königs weckte. Die Gerüchte von paradiesischen Genüssen, hinter den Mauern der Abtei verborgen, bedienten die geheimen Phantasien des Königs, während dieser zunehmend unter der starren, lustfeindlichen Etikette bei Hofe litt. Die unerfüllten Passionen, fortwährende Frustrationen seines Daseins - nein, so hatte er sich sein Leben nicht vorgestellt - und der besorgniserregende Tiefstand der königlichen Schatulle machten den Regenten empfänglich für die Einflüsterungen seines Beraters Baron Ducado, wie dessen Großonkel Don Velasquez ein erklärter Todfeind Don Rodrigos.
Beim gegenwärtigen Stand der Rodrigo-Forschung bleiben viele Fragen offen. Gesichert hingegen ist, dass der sagenhafte Reichtum, die Art wie Don Rodrigo ihn einst erwarb und mehrte und sein hemmungsloser Lebensstil , eine Unzahl von erbitterten Widersachern heraufbeschwor. Die bisher unklaren, aber zweifelsohne vorhandenen Verkettungen bis in die heutige Zeit lassen noch viele überraschende Entdeckungen vermuten.
Stuttgart-Malaga Juni 2015